Max ist ein richtiger Käpt´n Blaubär. Er macht ihm einen Heidenspaß, Erwachsenen mit ernster Miene die tollsten Storys aufzutischen. Wie neulich der Erzieherin im Kindergarten die von dem Baby, das die Mama erwartet. Oder zu Hause die von Julians Vater, der beim Kindergeburtstag seines Sohns fünf Flaschen Bier ausgetrunken habe. Um dann, wenn die Erwachsenen sich nur noch wundern, zu triumphieren: „Das war doch nur ein Geschichtchen!“
Keine Frage: Max hat das Zeug zum Geschichtenerfinder. Immer besser gelingt es ihm, Gesichtsausdruck und Körpersprache der jeweiligen Story anzupassen. Die Eltern haben anfangs herzhaft mitgelacht, wenn Max sie wieder mal hinters Licht geführt hatte. Doch bei allem Stolz auf seine Schauspielkunst wird Max’ Talent ihnen langsam unheimlich: Wächst da vielleicht ein notorischer Schwindler heran, der am Ende Erfindung und Wahrheit selbst nicht mehr auseinanderhalten kann? Und vor allem: Was können sie Max überhaupt noch glauben? Wie kommt er dazu, ständig solche Geschichten aufzutischen?
Gott, ich danke dir für dieses Knäuel aus Hoffnungen und Sehnsüchten, Erwartungen und Aufgaben, Verzauberungen und Herausforderungen, Gewissheiten und Ängsten. Ich danke dir für meine Familie. Manchmal, wenn ein Augenblick zum Nachdenken bleibt, erahne ich, was du uns in all dem Drunter und Drüber lehren willst. Und wenn ich „meine Lieben“ mit den Augen der Liebe anschaue, möchte ich sie dir anvertrauen. Schreib Du ihren Namen in deine Hand.
Michael Feil
Ungefähr mit vier Jahren schaffen es Kinder, klar zwischen Wahrheit und Unwahrheit zu unterscheiden; wenig später entdecken sie, dass andere oft nicht wissen, was „Sache“ ist, wenn sie nicht dabei waren. Dieses Wissen eröffnet ihnen die Chance, mit der Wahrheit zu spielen. Zum Beispiel: alltägliche Begebenheiten fantasievoll aufzupeppen und die eigene Rolle dabei heldenhaft zu übertreiben (oder klein zu reden, je nach dem was gerade günstiger erscheint). Oder die Schuld an einem Missgeschick jemand in die Schuhe zu schieben, der gar nicht dabei war. Oder heimliche Wünsche aufregend zu verpacken, im Radio oder in Büchern Aufgeschnapptes in reale Situationen einzuflechten … Wenn die Großen dann staunen und lachen, umso schöner!
Schluss mit lustig ist allerdings, wenn die Eltern beim besten Willen nicht mehr wissen, was sie ihrem Nachwuchs-Blaubären noch glauben können oder wenn seine Geschichten anderen schaden – zum Beispiel wenn Julians Vater plötzlich als Trinker da steht. Max’ Eltern müssen ihren Sohn deshalb nicht gleich als „Lügner“ brandmarken. Aber ein paar ernste Nachfragen sind schon angebracht, die ihm klar machen: Es ist wichtig, dass meine Eltern und andere mir jederzeit vertrauen und glauben können. Und eine gute Geschichte bleibt auch gut, wenn andere sie durchschauen.
Die Lust am Fabulieren ist das eine. Der häufigste Grund für Kinder, ab und zu offensichtlich die Unwahrheit zu sagen, ist aber wohl ein anderer: Sie versuchen Konsequenzen zu entgehen, wenn sie etwas angestellt haben: „Ich war das nicht!“ Dahinter stehen oft Erfahrungen, die für die beteiligten Erwachsenen nicht gerade schmeichelhaft sind: Die Kleinen haben gelernt, dass Ehrlichkeit sich nicht auszahlt – weil dann eine unverhältnismäßige Strafe droht. Oder sie haben den Großen das Lügen schlicht abgeguckt: „Sag’ Herrn Meier, dass ich nicht da bin!“
Deswegen müssen Eltern Schwindeleien nicht kommentarlos hinnehmen. Aber sie sollten darauf achten, dass sie die Kleinen nicht selbst dazu verführen.