Sonntag, 16:36 Uhr

Was tun gegen sexuelle Gewalt

Doch nicht bei uns!

Anfangs wollte Susanne N. ihrer Tochter nicht glauben. Sie musste erst ihre eigene Angst überwinden.

Als meine Tochter das erste Mal davon sprach, dass sie mit dem Papa nicht mehr in die Badewanne wollte, habe ich mir gar nichts weiter dabei gedacht. Das sei „immer so komisch“, sagte sie. Dabei hatten die beiden doch oft einen Heidenspaß in der Wanne, mit Kichern und Kitzeln …

Julia war damals fünf. Ich hatte zwar durch Fernsehen und Zeitung von sexueller Gewalt gehört und gelesen. Aber das war nichts, was uns betraf! Natürlich hatte ich Julia davor gewarnt, mit Fremden mitzu­gehen, aber Missbrauch in unserer Familie – kein Gedanke! Wer denkt schon daran, dass ein geliebter und vertrauter Mensch einem Kind etwas Schreckliches antut?

Aber sie ließ nicht locker. Ein paar Tage später sagte sie: „Der Papa zieht mir die Unterhose aus. Und ich will nicht, dass er mich so komisch streichelt!“ Ich war geschockt; meine Gedanken wirbelten durcheinander. Einerseits versuchte ich den Verdacht abzuwehren: „Wer sagt mir, dass sie das nicht erfunden hat? Sie war doch immer seine Prinzessin! Sie lügt.“ Aber das mulmige Gefühl kam immer wieder hoch.

Die folgende Zeit durchlebte ich wie eine seelische Achterbahn. Ich schlief schlecht, konnte mich kaum konzentrieren. Heute weiß ich, dass ich etwas nicht wahrhaben, nicht an mich heranlassen wollte. Ich fühlte mich schockiert, verletzt und hintergangen. Ich hatte Angst, meine Ehe, unsere Familie, unsere finanzielle Grundlage zu gefährden. Ich befürchtete, etwas Falsches aus der Äußerung meiner Tochter herauszuhören und meinen Mann zu Unrecht zu beschuldigen. Mit einer unbeweisbaren Behauptung, nur weil ein Kind mal etwas dahinsagt, hätte ich schön dumm dagestanden – so dachte ich. Und wenn der Vorwurf gerechtfertigt wäre – die Leute würden mit Fingern auf uns zeigen!

Aber ich war aufmerksam geworden und bemerkte immer mehr Situationen, die mir zu denken gaben.

Ich beschloss, mich erst einmal besser zu informieren, und las im Internet, was ich dort über sexuelle Gewalt finden konnte. Schließlich fasste ich mir ein Herz und rief bei einer Beratungsstelle an. Die Beraterin machte mir deutlich, wie wichtig es ist,
Kindern zu glauben und ihnen das auch zu signalisieren. Und mir wurde klar: Ich bin in ers­ter Linie für den Schutz meines Kindes verantwortlich! Die Bestrafung des Täters ist zweitrangig.

Ich begann Julia zu glauben. Ich hörte ihr zu und erfuhr, dass der Papa sie in der Badewanne schon seit längerem „so doof“ anfassen würde. Dass er auch abends, wenn er sie ins Bett brachte, immer wieder unter der Bett­decke ihre Scheide berührte. Und dass sie sogar seinen Penis in die Hand nehmen musste.

Der weitere Weg war sehr schwer, weil damit mein Traum von der heilen Familie endgültig zerbrach. Das Wichtigste war, den Übergriff sofort zu unterbinden. Ich trennte mich von meinem Mann und zog zunächst wieder zu meiner Mutter. In der Beratung wurde mir zunehmend klar, dass auch in unserer Beziehung etwas schief lief, dass unsere Tochter meinem Mann viel wichtiger war als ich und eine falsche Rolle in unserer Familie hatte. Eigentlich hatte ich das schon länger gespürt, konnte damals aber nicht konkret fassen, was mich beunruhigte.

Die Beraterin erklärte mir, dass sexuelle Gewalt nicht nur für das Kind, sondern für die ganze Familie ein Trauma ist. Genauso habe ich das auch erlebt. Lange Zeit konnte ich keinem Menschen mehr vertrauen, nachdem ich mich so in meinem Mann getäuscht hatte. Und bis heute belastet es die Beziehung zu meiner Tochter, dass ich ihr damals nicht gleich geglaubt und sie nicht früher geschützt habe.

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