Dienstag, 00:15 Uhr

Januar 2016

Sorge um „Sandwich-Kind“

Ich mache mir Sorge um unseren mittleren Sohn (8). Marius war bisher immer unser „Vorzeigekind“, aber in letzter Zeit macht er ständig Schwierigkeiten. Wie sollen wir damit umgehen?

Was sind denn das konkret für Schwierigkeiten, die Marius neuerdings macht? Fordert er Sie als Eltern heraus, indem er sich nicht mehr an Regeln hält? Sucht er Streit mit seinen Geschwistern? Oder fällt er in der Schule durch Ärger mit Mitschülern oder Lehrern oder durch ungewohnt schlechte Leistungen auf? Je nach dem müssten Sie andere mögliche Auslöser für Marius‘ „neues“ Verhalten in Betracht ziehen (Regeln, die nicht mehr passen? Neue Mitschüler oder Lehrer?) und an anderen Punkten ansetzen.

Unabhängig davon bleibt die Frage, ob seine Probleme vielleicht mit der Rolle zusammenhängen, die Marius in ihrer Familie spielt. Zum einen ist es das „Los“ vieler mittlerer Kinder, das sie weniger im Brennpunkt der Aufmerksamkeit stehen als ihre Geschwister. Die Ältesten stellen Eltern ständig vor völlig neue Fragen und Aufgaben (Trotzattacken, die Wahl von Kita und Schule, Pubertät, Cliquen…); das allein sichert den „Kronprinzen“ und „-prinzessinnen“ viel elterliche Zeit und Zuwendung. Die Jüngsten („Nesthäkchen“) wiederum brauchen zumindest in den ersten Jahren viel Hilfe und entwickeln sich darüber gerne zum bevorzugten Schmusekind der Eltern – während die mittleren, wenn alles glatt läuft, in der alltäglichen Routine einfach mitlaufen und deshalb leicht übersehen werden.

Ihre Chance, einen gebührenden Anteil an der elterlichen Aufmerksamkeit zu ergattern, suchen die einen, indem sie den Aufstand proben. Andere versuchen sich als „Vorzeigekinder“ zu profilieren. Aber auch diese Rolle hat, zum anderen, ihre Tücken. Vor allem dann, wenn die Eltern das gute Verhalten und die guten Noten ihrer Kinder mit der Zeit als selbstverständlich ansehen, die Superleistungen also gewissermaßen zur Norm werden und keiner Extra-Erwähnung mehr bedürfen. Jede Schwankung, jedes Nachlassen führt dann schnell zu einer Enttäuschung und gilt als „Problem“ - während die Eltern dasselbe bei anderen Kindern als ganz normal wahrnehmen.

Diese Unterschiede nehmen Kinder sehr wohl wahr. Sie haben oft ein sehr gutes Gespür dafür, wie ihre Umwelt sie wahrnimmt, auch wenn das nicht immer bewusst abläuft. Manche stellen dann, genauso unbewusst, ihren Eltern durch ihr „Problemverhalten“ die Gretchenfrage: Mögt ihr mich eigentlich nur, wenn ich etwas Besonders leiste? Oder auch einfach so, als Person? Mag sein, dass Sie das ganz anders sehen und das Gefühl haben, dass Sie Marius genauso im Blick haben und gerecht behandeln wie seine Geschwister; für Marius zählt aber zunächst nur seine ganz individuelle Wahrnehmung.

Sind die Probleme, die Marius in jüngster Zeit macht, also womöglich auch ein Versuch, aus seiner Rolle als „Vorzeigekind“ entlassen zu werden? Ganz klar: Als Eltern müssen Sie „schlechtes“ Verhalten Ihres Sohns, wie auch immer das aussieht, kritisieren und klare Grenzen setzen. Darüber hinaus lohnt es sich jedoch, seine guten Seiten wieder stärker in den Blick zu nehmen und ausdrücklich zu benennen und ihn so zu ermutigen, sich dadurch zu profilieren. Zusätzlich könnten Sie ihm den einen oder anderen „Edelsteinmoment“ im Alltag schenken; das sind Momente ungeteilter Aufmerksamkeit, die Sie Marius widmen - eine Umarmung zwischendurch, ein Zuzwinkern über den Küchentisch, eine Fahrradtour „allein zu zweit“, je nach dem, was Ihnen sinnvoll erscheint und was Sie beide mögen. So vermitteln Sie ihm das Gefühl, von Ihnen gesehen und geschätzt zu werden, und ersparen es ihm, „etwas anzustellen“, um wenigstens „negative Aufmerksamkeit“ auf sich zu ziehen.

In unserer Rubrik Familie von A-Z finden Sie weitere interessante Artikel und Infos zu dem Thema Entwicklung des Kindes.

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